Offener Brief: Unabhängiges Tutoriumsprojekt gefährdet!

Wir fordern den Erhalt der einzigartigen emanzipatorischen Struktur!

Derzeit wird im Schatten der ÖH-Wahl versucht, das Unabgängige Tutoriumsprojekt (TutPro) möglichst rasch und fernab von Öffentlichkeit der alleinigen Kontrolle von ÖH-Fraktionen zu unterstellen. Anstatt offen mit oder im Projekt Problematiken oder Verbesserungsvorschläge anzusprechen, wird hinter verschlossenen Türen zwischen einzelnen Fraktionsvertreter_innen verhandelt. Ginge es nach den Vorstellungen der Aktionsgemeinschaft (AG), würde ihr Antrag, der kurz in einer Arbeitsgruppe zur Diskussion stand, bei der kommenden BV-Sitzung am 11. Mai 2017 angenommen werden. Damit würden sämtliche zukünftige Entscheidungen im TutPro in einem Ausschuss der Bundesvertetung von fraktionierten Personen getroffen werden – die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit des TutPros wäre damit abgedreht. Die Meinungen, Wünsche und Vorstellungen der Studierenden, die tatsächlich auf Ausbildungsseminare fahren und Tutorien anbieten, werden ins Abseits gedrängt und als irrelevant abgetan. Statt der derzeitigen vielfältigen Partizipationsmöglichkeiten im TutPro wäre selbst die administrative Verwaltung nur noch von einer einzigen angestellten Person geregelt. Diese Option ist aus Sicht des TutPros nicht gangbar!

Besonders frappierend: die beiden Fraktionen, Aktionsgemeinschaft (AG) und Unabhängige Fachschaftslisten Österreichs (FLÖ), die diese Entwicklungen voranpeitschen, haben keinerlei Skrupel, die bisher unabhängigen Ausbildungsseminare für Fraktionswerbung und als Kaderschmiede zu missbrauchen: laut ihrem Antrag würden dann bis zu 50% fraktionierte ÖH-Funktionär_innen Tutor_innen im TutPro werden können. Daraus resultiert, dass Tutorien für Erstsemestrige, bezahlt aus dem öffentlichen TutPro-Budget, zur Anwerbungsplattform für die Fraktionen werden können. Die Überparteilichkeit aller Projektteile und Ebenen des TutPros ist daher akut gefährdet!

Was ist das TutPro?

Das Unabhängige Tutoriumsprojekt (TutPro) ist eines der größten und langjährigsten Projekte der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH) und wird überwiegend (zu 75%; entsprechen knapp 190.000€ jährlich) vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) finanziert. Angesiedelt ist das TutPro ist an der Bundesvertretung (BV) der ÖH, die die restlichen 25% des Budgets stellt.
Die Ziele des seit den 1970er Jahren etablierten Projekts sind heute genauso aktuell wie damals: aktive Mitgestaltung von Studierenden; gegenseitige leistungsmäßige, organisatorische und soziale Unterstützung und mehr soziale Inklusivität – statt unbewusster Reproduktion von Diskriminierungen an den Universitäten.

Jährlich werden über 900 Studierende höherer Semester zu Tutor_innen ausgebildet: mit professionellen Trainer_innen, die selbst im Projekt engagiert waren, werden die theoretische Basis und das praktische Werkzeug auf dreitägigen Ausbildungsseminaren erarbeitet. Diese Seminare vermitteln den ehrenamtlichen Tutor_innen die nötigen Kompetenzen, um ihre Uni-Erfahrungen und Expertisen an Erstsemestrige weiter zu geben und gruppendynamische Prozesse zwischen ihnen zu begleiten. Spezialisierte Thementutorien ermöglichen weiters den fundierten Austausch und Erwerb von Fachwissen zur Förderung strukturell benachteiligter Studierender.

Die Struktur des TutPros ist ein jahrelang gelebtes “bottom-up”-Prinzip: alle fraktionsunabhängigen Studierenden Österrreichs sind eingeladen zu partizipieren und an der basisdemokratischen Entscheidungsfindung des TutPros mitzuwirken. Auf bundesweiten Treffen wird dreimal jährlich gemeinsam konsensorientiert diskutiert und gearbeitet – im Rahmen des Grundsatzpapiers. Das TutPro kann so vielfältig sein, wie die Studierenden selbst!

Fraktionspolitik statt Studi-Interessen?

Die FLÖ, Teil der aktuellen ÖH-Koalition, rühmen sich stets von keiner Partei abhängig zu sein. Um sich selbst ins TutPro hineinzureklamieren, ist ihnen aber scheinbar kein Preis zu hoch: Wertvorstellungen, die in den Grundsätzen der FLÖ fest verankert sind, wie parteipolitische Unabhängigkeit und die Forderungen nach breiten Partizipationsmöglichkeiten und Diversität würden nun durch ihren Antrag im TutPro bereitwillig über Bord geworfen werden – alles nur um die eigene fraktionspolitische Agenda verfolgen zu können? Offenbar schreckt die FLÖ auch nicht davor zurück, mit der Oppositionsfraktion AG hinter dem Rücken der anderen Koaltionsfraktionen mit dem Ministerium zu verhandeln und Mehrheiten für die gravierende Strukturänderungen des TutPros zu suchen.
Es mutet zudem merkwürdig an, dass ausgerechnet die AG, die Studierende “im Mittelpunkt der ÖH-Politik” verorten will und mit ihrer Serviceorientierung wirbt, gleichzeitig durch den Antrag offenkundig Fraktionspolitik an erste Stelle stellt. Der von der AG für die kommende Wahl plakativ kritisierte “Polit-Kindergarten” der ÖH bekommt hiermit eine ganz neue traurige Bedeutung.

Die notwendigen Schritte:

Die jetzige linke Koalition (GRAS, VSStÖ, FLÖ & FEST) muss sich hinter das Unabhängige Tutoriumsprojekt stellen:

  • Es darf nicht weggeschaut werden, wenn Strukturen wie das Unabhängige Tutoriumsprojekt, von dem alle Studierenden österreichweit profitieren können, der Zerstörung preisgegeben werden.
  • Aktuelle Chat-Protokoll-Veröffentlichungen zeigen, dass die AG ein Problem mit Antisemitismus, Rassismus, Holocaust-Verleugnung beziehungsweise NS-Verherrlichung “unter dem Deckmantel des Humors” hat. Dies legt nur offen, dass die Werte der AG jenen des TutPros absolut diametral entgegengesetzt sind, weswegen eine Vereinnahmung des TutPros durch die AG verhindert werden muss.
  • Das TutPro muss auch weiterhin eine Plattform bieten für emanzipatorische Mitgestaltung und Hilfestellungen von Studierenden für Studierende; für freiwilliges und ehrenamtliches Engagement, unabhängig von Fraktionsinteressen.

Aus diesen genannten Gründen ist es unumgänglich, dass sich die jetzige linke Koalition gegen den von der AG eingebrachten Antrag positioniert und das TutPro in seiner jetzigen Form beibehält und vor zukünftigen Übernahmeversuchen bewahrt!

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May 9, 2017